23 Juni 2022

niemand mag Projekte


Wir Projektmanager lieben Projekte - schließlich sind wir den ganzen Tag davon umgeben und haben uns das Projektmanagement irgendwann (hoffentlich) mal freiwillig ausgesucht. Ist diese Einstellung überhaupt hilfreich und sozial akzeptabel? Um diese Frage zu beantworten beginne ich mal damit, womit jeder Projektmanager zu Beginn eine Projektes beginnt: Schauen wir uns die Motivation der internen Stakeholder näher an.

Der Projektauftraggeber möchte keine Projekte haben - er verlangt Ergebnisse. Kein Auftraggeber beginnt seinen Tag mit dem Gedanken: "Heute denke ich mir mal ein richtig schönes Projekt aus, es soll viele Kapazitäten binden und so richtig schön teuer sein". Stattdessen hat so ein späterer Projektauftraggeber erstmal ein Problem, welches er eigentlich am liebsten bis gestern gelöst hätte - und das am besten ohne Kosten. Wie das aber nun mal so mit komplexen strategischen Problemen ist, können diese nicht schnell und aufgrund der Linearität der Zeit nicht bis gestern gelöst werden - im besten Fall versteht das der Projektauftraggeber. Seine nächste logische Frage ist demnach: "Bis wann und zu welchen Kosten kann mein Problem mit welchem Vorgehen gelöst werden?" Diese Fragestellung spiegelt ziemlich genau das magische Dreieck des klassischen Projektmanagements: Kosten- Leistung- Zeit wider. Ein guter Auftragnehmer beantwortet diese Fragestellung zeitnah, die Methoden des Projektmanagements wie Kostenplan, Projektablaufplan, Anforderungsdefinition,... helfen, diese Fragen zu beantworten. Schwupps, da haben wir aus einem Problem ein Projekt gemacht, was eigentlich nicht beabsichtigt war, aber nun zumindest als ein notwendiges Übel angesehen werden kann. 

Das Zauberwort gegenüber dem Auftraggeber lautet hier folgerichtig: Ergebnis- bzw. Lösungsorientierung. Nur in dem Bewusstsein, dass der Auftraggeber das Projekt eigentlich nicht haben will, sondern schnellstmöglich, so preiswert wie möglich und kontrollierbar zu seinem Ziel gelangen will, können wir vermeiden, uns in Details zu verlieren und zu große Abweichungen in einer der Dimensionen des magischen Dreiecks zu tolerieren. Das muss sich auch in der Kommunikation zum Auftraggeber durchsetzen.

Das Projektteam möchte erst recht keine Projekte, zumindest nicht in der Linienorganisation und in der Stabsorganisation. Unabhängig davon, wer aus Ihrem Unternehmen im Projektteam mitarbeitet, bedeuten Projekte für jeden Kollegen erstmal zusätzliche Arbeit. Und da in keinem Unternehmen, welches ich bisher kennenlernen durfte, Überkapazitäten herrschen, führt jedes neue Projekt verständlicherweise erst einmal zu Unmut bei den Kollegen: "Boh, nicht noch ein Projekt", "Wir müssen uns erstmal um unsere Linienaufgaben kümmern", "Was jetzt soll ich noch mit Abteilung X im Projekt auf Augenhöhe zusammenarbeiten, obwohl das alles Vollhonks sind!?", "Das wird doch eh nichts, was die da oben sich ausgedacht haben, ich sitze das einfach aus" sind häufige Reaktionen auf enthusiastisch vorgebrachte (und oftmals gute) Projektideen.

 Um dem Schwall der ersten Ablehnung angemessen zu begegnen, muss der Projektleiter motivieren, kommunizieren und vor allem den Nutzen für die einzelnen Teams/ Abteilungen der Projektmitglieder, am besten sogar auf deren persönlicher Ebene herausarbeiten. Niemand ist begründet im Projektteam, wenn seine Mitarbeit nicht notwendig wäre und jedes Projektteammitglied sollte im Rahmen des Projektes eine Verbesserung seiner eigenen täglichen Arbeit erfahren dürfen oder eine Verbesserung für das gesamte Unternehmen herbeiführen können, andernfalls macht das Projekt evtl. wirklich wenig Sinn. Diese positive Kommunikation ist leider über die gesamte Dauer des Projektes notwendig und endet frühestens mit Projektabschluss - also eine der Hauptaufgaben für den Projektleiter.

Mittendrin in der Hierarchie zwischen Auftraggeber und Projektteam befindet sich der Projektleiter. Dieser versucht mit Elan und viel Optimismus, die Vorgaben eines Projektauftraggebers an das Projektteam heranzutragen und die Umsetzung seiner Pläne, die eigentlich niemand haben will, voranzutreiben - eine höchst masochistische Arbeit, wenn man mal so drüber nachdenkt. Der Projektleiter ist in dieser Konstellation der Einzige, der das Projekt des Projektes wegen cool findet wohlgemerkt. Gäbe es das Projekt nicht, so wäre der Projektleiter im schlimmsten Fall entweder arbeitslos oder hätte eine andere Aufgabe innerhalb der Organisation, welche er wahrscheinlich nicht so toll findet, weil er lieber Projektleiter wäre. Der Projektleiter ist also jemand, dessen Glas ständig halb voll ist, obwohl alle anderen sich intensiv darüber beschweren, dass das Glas halb leer sei und dass ihnen der Inhalt eh nicht schmeckt. 

Kann der Projektleiter seine Meinung und Ansichten zum Füllstand des Glases in dieser Form überhaupt öffentlich machen? Nun soll man ja nicht unbedingt zwingend mit dem Strom schwimmen, aber ein hilfloser Optimismus in einer Welt voller Pessimisten sorgt nun nicht gerade dafür, dass man sich Freunde macht, und auch Pessimisten können ja ganz nette Menschen sein. Erschwerend hinzu kommt: Wenn man etwas mag, dann möchte man ja nicht, dass es endet - denken wir an unseren letzten Strandurlaub mit reichlich Sonne und guten Cocktails an der Strandbar: Tolle Situation, sollte eigentlich nicht enden nach Möglichkeit. Alle anderen wollen aber möglichst schnell von der Strandbar weg weil es zu heiß ist und das Glas ja eh schon halbleer ist wie bereits beschrieben. 

Vielleicht sollten wir als Projektleiter unsere Projekte also nicht lieben, sondern sie besser hassen? Welche Vorteile hätte das? 

Gegenüber dem Projektauftraggeber könnten wir frischer und zielorientierter auftreten: "Ich habe Ihr Problem verstanden, zur Realisierung muss ich leider ein Projekt vorschlagen". Der Projektleiter, der sein ehrliches Problemverständnis teilt und sich für den ewig gleichen Lösungsweg entschuldigt ist zumindest origineller als derjenige Projektleiter, bei dem man schon bevor er zur Tür hereinkommt weiß, dass er enthusiastisch ein Projekt vorschlagen wird, weil er gerade wieder mal auf einer Fortbildung zum Thema Projektmanagement war.

Gegenüber dem Projektteam besteht weniger Gefahr, gegen das Team zu arbeiten, wenn man mental denselben Konsens offenbart: "Ich weiß, das das Projekt für alle hier eine zusätzliche Arbeit bedeutet und es tut mir wirklich leid. Langfristig verbessern wir dadurch jedoch X,Y, und sogar Z, was allen hier hilft, finden Sie nicht auch, dass es das wert sein wird?"  

In der Sache, also hinsichtlich des Projektergebnisses besteht weniger Gefahr, sich im Detail zu verlieren, wenn sich alle Beteiligten einig sind, dass sie das Projekt eigentlich nicht haben wollen, aber das Ergebnis dringend benötigt wird. 

An dieser Stelle noch eine Warnung: Dinge, die man intensiv hasst, erledigt man als Mensch in der Regel mit so wenig Aufwand wie möglich und so unbewusst wie möglich - eine schlechte Qualität ist die Folge. Wir dürfen unser Projekt also auch wiederum nicht zu intensiv hassen.

In diesem Sinne: Lassen Sie uns alle unsere Projekte ein bisschen hassen, um sie besser zu machen.

Mögen Sie Ihre Projekte? Wie gehen Sie mit Ablehnung Ihrer Projekte um? Wie führen Sie den Konsens im Projekt herbei? Ist Ihr Glas halb voll oder halb leer? Lassen Sie es mich in Ihrem Kommentar wissen.



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