28 Juli 2022

Wer lenkt den Lenkungskreis?

Der Lenkungskreis ist die oberste strategische Entscheidungsebene im Projekt und besteht aus den Projektauftraggebern. Die Aufgabe des Lenkungskreises ist es, Entscheidungen zu treffen, die die Entscheidungskompetenz des Projektleiters übersteigen. Das kann man in der Projektmanagementliteratur lesen. 

Aber was braucht der Lenkungskreis, damit er entscheiden kann und wie bekommen wir gemeinsam sinnvolle Entscheidungen hin? Muss der Lenkungskreis nicht auch gelenkt werden?  Wer lenkt den Lenkungskreis? 


Es ist ein Freitag am Monatsende - Termin für den Lenkungskreis. Der motivierte Projektleiter X hat gestern Nacht noch den Statusbericht für sein Projekt erstellt: Meilensteinberichte, Kostenberichte, Leistungsberichte, alles da. Am Ende des Foliensatzes befindet sich der gefürchtete "Entscheidungsbedarf für den Lenkungskreis". Der Projektleiter bereitet den angemieteten Meetingraum vor, beamt die Folien an die Wand und wartet ungeduldig auf das Erscheinen des Lenkungskreises. Es gibt viele Themen und er hofft, dass nicht zu viele Rückfragen kommen und dass die angesetzte Zeit reicht. 

Die Mitglieder des Lenkungskreises erscheinen - alle zu spät. Das vorherige Meeting hat länger gedauert, das Wochenende wird sehnsüchtig erwartet, und überhaupt: Welcher Idiot kommt auf die Idee, am Freitag am Monatsende ein Meeting anzusetzen?  Wahrscheinlich will der Projektleiter wieder irgendwelche Entscheidungen haben, erklärt das Problem nicht ausreichend und schläfert die Entscheider vorher noch mit den immergleichen Standardfolien ein. Herr Dr. Y entschuldigt sich kurz und holt sich erstmal einen Kaffee, noch bevor der Projektleiter den Lenkungskreis begrüßt, weil ihn schon beim Gedanken an die folgende Präsentation der Sekundenschlaf überfällt. 

So beginnt ein Lenkungskreismeeting - und, spulen wir kurz vor, viele Lenkungskreise enden damit, dass der Lenkungskreis weiteren Informationsbedarf bis zum nächsten Meeting im nächsten Monat adressiert ohne die aus Projekt(leiter)sicht wichtigen Entscheidungen getroffen zu haben: "Können Sie die Vor- und Nachteile noch weiter ausarbeiten?" "Bitte gehen Sie bei der Kostenstruktur der Alternativen noch etwas weiter in die Tiefe" "Fragen Sie dazu bitte nochmal den Kollegen Z, der hatte glaube ich mal ein ähnliches Problem, vielleicht kann der helfen". Abgesehen vom Kaffee war das Meeting unterm Strich wieder einmal verschenkte Zeit.

Wie können wir das vermeiden und im Zuge einer erfolgreichen Projektkultur und natürlich auch einer effizienten Meetingkultur ergebnisorientierte Lenkungskreismeetings durchführen? 

Am Anfang war das Ziel, und das sollte in die niedergeschriebene Agenda des Meetings und in die Begrüßung mit einfließen: "Ich möchte ein Update zum Projektfortschritt geben und den Entscheidungsbedarf adressieren". Ebenso gehören in die Termineinladung die Folien inklusives des Entscheidungsbedarfs, daher sollten die entsprechenden Folien nicht wie in obigem Beispiel in der Nacht vorher fertiggestellt werden, sondern etwas eher. Hier befindet sich der Projektleiter natürlich in einer Zwickmühle: Ergibt sich kurzfristiger Entscheidungsbedarf, so muss der natürlich asap offengelegt und adressiert werden, damit das damit zusammenhängende Problem zeitnah gelöst werden kann. 

Dazu ist die vertrauensvolle offene Kommunikation zwischen Projektleiter und Lenkungskreis notwendig: Der Lenkungskreis muss soviel Vertrauen in den Projektleiter haben, dass er davon ausgeht, dass der Projektleiter Risiken so früh wie möglich vorhersieht und den damit zusammenhängenden Entscheidungsbedarf so früh wie möglich adressiert, dass auf der anderen Seite jedoch Probleme kurzfristig entstehen können und sich nicht unbedingt nach dem vollen Terminplan des Lenkungskreises richten. 

Wo wir gerade bei der Kommunikation sind: Es empfiehlt sich, den Lenkungskreis genauso wie das Projektteam mit möglichst wenigen Personen zu besetzen, um Abstimmungswege kurz zu halten. Darauf kann der Projektleiter schon vor Projektbeginn hinarbeiten: In den meisten Fällen existiert ein Auftraggeber, dem das Projekt wichtig ist. Wenn dieser Auftraggeber bei der Vorbesprechung versucht, den Lenkungskreis mit einer Armee von weiteren Entscheidern zu besetzen, so sollte der Projektleiter hier bereits lenkend tätig werden. Ich habe die besten Erfahrungen mit kleinen Lenkungskreisen, sogar mit nur einem einzigen Auftraggeber gesammelt. Egal, wie voll die Terminkalender des Projektleiters und des Auftraggebers sind, eine halbwegs spontane Abstimmung ist in dieser Konstellation immer zeitnah möglich, im schlimmsten Fall beim Mittagessen. Bei Bedarf kann der Kreis der Entscheider ja situativ erweitert werden, dann aber für einzelne, spezifische Problemstellungen und nicht generell als festes regelmäßiges Meeting im großen Kreis.

Unabhängig von der Größe des Lenkungskreises ist die Vorbereitung seitens des Projektleiters ausschlaggebend für die Entscheidungen des Lenkungskreises. Dabei möchte ich nicht auf die Form der Statusberichte eingehen, sondern auf deren Inhalte:

Projekte werden in den Dimensionen Zeit-Kosten-Leistung beurteilt, das weiß jeder Projektleiter und strukturiert seine Statusberichte dementsprechend. Wissen das auch die Mitglieder des Lenkungskreises? Wollen sie überhaupt einen derart strukturierten Bericht? In den meisten Fällen wollen die obersten Entscheidungsträger eine kurze Kategorisierung - die Ampelfarben rot, gelb, grün haben sich dazu erfolgreich etabliert. Was genau gewünscht wird, sollte mit dem Lenkungskreis abgesprochen werden - ein Statusbericht mit mehr Text als die Morgenzeitung ist mit Sicherheit falsch, ebenso falsch kann es aber auch sein, in minimalistischem Eifer lediglich eine gelbe Ampel als Statusbericht zu präsentieren. Hier kann der Lenkungskreis vom Projektleiter gelenkt werden, indem der Projektleiter aktiv gewünschte Inhalte des regelmäßigen Statusbericht abspricht, Vor- und Nachteile und insbesondere den Zeitbedarf zur regelmäßigen Präsentation der Statusberichte erläutert. Wenn der Lenkungskreis alles genau wissen möchte, dann dauert es halt länger, alle Details zu berichten. Best Practise ist da aus meiner Sicht das Management by Exception: Der Lenkungskreis erhält regelmäßig kurze Berichte und erst detaillierte Informationen, wenn etwas schief läuft und eine Entscheidung notwendig wird. 

Somit sind wir jetzt beim Knackpunkt der Geschichte: Entscheidungsbedarf. Ein Projektleiter, der seine Standardpräsentation mit der offenen Fragestellung: "So, hier habe ich ein Problem, was soll ich tun?" beendet, wird zu recht aus dem Meetingraum, aus dem Unternehmen und zum Teufel gejagt. Auf dieser Basis kann kein Mensch eine fundierte Entscheidung treffen. Die Aufarbeitung und Darstellung des Entscheidungsbedarfs ist enorm wichtig, um den Lenkungskreis zu einer sinnvollen Entscheidung lenken zu können. Dazu hat sich folgender Aufbau bewährt:

  • Ausgangssituation (Wo stehen wir)
  • Problemstellung/Risiko (Was ist unerwartetes passiert?)
  • Lösungsvorschlag (Was ist die Empfehlung des Projektleiters? Was kostet das an Zeit und Geld?)
Der Lösungsvorschlag sollte bei hoher Komplexität noch in Alternativen aufgesplittet werden - um den Entscheider nicht zu überfallen sind 3 Alternativen meistens ausreichend. Ebenfalls zu den Alternativen gehren dann Pro- und Contra- Betrachtungen. Bei den Alternativen sollte der Projektleiter auch wiederum die Vorarbeit leisten, eine der Alternativen zu empfehlen. Auf diese Art wird es dem Lenkungskreis in annehmbarer Zeit ermöglicht, eine fundierte Entscheidung zu treffen, welche nicht auf der grünen Wiese und auf Rätselraten begründet ist, sondern auf einem durch den Projektleiter gelenkten Entscheidungsprozess. 

Um die eingangs gestellte Frage nun noch explizit zu beantworten: Die Lenkung des Lenkungskreises erfolgt für operative Probleme durch den Projektleiter

Wozu benötigen wir dann überhaupt einen Lenkungskreis, wenn der Projektleiter durch seine Empfehlungen quasi selbst entscheidet? 

Ganz einfach: Wir benötigen den Lenkungskreis für strategische Fragestellungen, z.B. ob das Projekt weitergeführt werden soll, ob es weiterhin zur Unternehmens- und Projektportfoliostrategie passt. ob weitere Ressourcen zur Verfügung gestellt werden sollen etc. Hier wird der Lenkungskreis durch die Unternehmensstrategie und -Vision geleitet, die dem Projektleiter in der Regel nicht oder nur zu geringen Teilen bekannt sind. 

Lenken Sie Ihren Lenkungskreis? Haben Sie weitere Hilfsmittel oder Methoden, um aktiv Entscheidungen herbeiführen zu können? Wie viele Personen haben Sie typischerweise in Ihren Lenkungskreisen und Projektteams? Lassen Sie es mich gerne in Ihrem Kommentar wissen.

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