21 Oktober 2021

Wo hört der Prozess auf, wo fängt das Projekt an?




Mein Beruf ist Projektmanager, als eine Art Hobby betriebe ich seit Jahren aktiv und begeistert Prozessmanagement. Daher weiß ich: Der Unterschied zwischen einem Prozess und einem Projekt ist in der Theorie schnell geklärt: Ein Prozess ist eine regelmäßig wiederkehrende Aufgabe, während ein Projekt per Definition ein einmaliges Vorhaben ist. Diese Abgrenzung funktioniert für Projektmanager unter folgender Bedingung: Jemand sagt mir, ich solle ein Projekt initiieren, also tue ich das - und habe folgerichtig ein Projekt. In einem strategischen Optimierungsprozess muss man sich hingegen fragen: Soll eine Veränderung als Prozessoptimierung durchgeführt werden oder als ein Projekt? 

Beginnen wir mit einem konkreten Beispiel: Produktentwicklung. Wir kennen den "Produktentwicklungsprozess" - und damit ist ja linguistisch schon einmal geklärt,  worum es sich handelt, oder nicht? Ein Unternehmen entwickelt fortlaufend neue Produkte, denken wir uns, sollte demnach Expertise darin haben und die Produktentwicklung sollte somit ein Regelprozess sein. Unsere Produktentwicklung könnte allerdings je nach Produkt in sehr langen Zyklen vom Entwurf bis zum finalen Test und zur Markteinführung ablaufen - und jedes Produkt wird ja nur einmal entwickelt - handelt es sich unter dieser Bedingung dann nicht vielleicht doch eher um ein Produktentwicklungsprojekt?

Im Gegensatz dazu wird ein CRM einmalig im Unternehmen eingeführt, es handelt sich somit klar um ein Einführungsprojekt - hier würde wohl niemand von einem Einführungsprozess sprechen? Allerdings kursieren viele gute und hilfreiche Schaubilder, welche den klassischen und agilen Projektmanagementprozess darstellen - und wie könnten wir Projektmanager uns in standardisierten Methoden zertifizieren lassen und Erfahrung damit sammeln, wenn das Projektmanagement nicht letztendlich selbst ein Prozess ist? Software hat im Unternehmen eine gewisse Lebensdauer, bis sie ersetzt werden muss - üblicherweise 3 bis 5 Jahre, aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung munkelt man, dass sich die Zyklen weiter verkürzen. Also muss in ein paar Jahren das nächste CRM eingeführt werden - handelt es sich damit etwa um einen Einführungsprozess?

Fragen wir uns nach dem Ursprung und nach dem Ziel unseres Optimierungswunsches: 

in unserem Beispiel funktioniert der Produktentwicklungsprozess evtl. nicht zufriedenstellend, es kommt zu Informationsverlust an wichtigen Übergabeschnittstellen - beispielsweise von der Produktentwicklung im Labor zum Marketing. Dies soll optimiert werden, damit der Prozess effizienter läuft- wichtige Informationen sollen von der einen Abteilung an die Andere standardisiert übergeben werden. Machen wir daraus eine (kurze) Prozessoptimierung oder setzen wir ein Projekt mit dem vom Topmanagement gefürchteten großen Tamtam dafür auf? 

In diesem einfachen Beispiel würde ich es eine Prozessoptimierung nennen, in wenigen Meetings gemeinsam mit den beiden beteiligten Abteilungen den Istprozess aufnehmen (falls nicht bereits vorhanden), anschließend den Sollprozess definieren sowie die bei der Übergabe benötigten Daten und Datenformate. Sollten mehr Abteilungen beteiligt sein, der Datenaustausch Anpassungen an Datenbanken und Systemen erfordern und sollte bei dem Prozess in der Vergangenheit viel Geld verloren gegangen sein, so wäre es eine sinnvolle Alternative, den Prozess im Rahmen einen (kleinen) Projektes zu optimieren und einmalig innerhalb einen Projektes gemeinsam mit den beteiligten Abteilungen zu durchlaufen - nachdem die im Projekt durchgeführten Änderungen als Verbesserung validiert wurden, kann der Prozess dann erstmal in der Linie als Prozess weiterlaufen und benötigt hoffentlich die nächsten Jahre kein Verbesserungsprojekt mehr. Kleinere Prozessoptimierungen könnten im Rahmen eines regulären Prozessmanagements durchgeführt werden.

Wie sieht es bei unserem CRM- Projekt aus? Ursprung und Ziel können ähnlich beschrieben werden - wir führen keine neue Software zum Selbstzweck ein und damit der Projektmanager und die beteiligten Mitarbeiter fleißig Überstunden leisten dürfen... Ziel eines IT- Einführungsprojektes ist immer eine Optimierung von Prozessen (ggf. Schnittstellen) und/oder eine verbesserte auswertbare Datenbasis - beim CRM im allgemeinen eine verbesserte Abwicklung der Kundenbestellungen verbunden mit nutzbaren Customer Insights. Die Einführung eines CRM stellt also eine große Prozessverbesserung im Vergleich zur Situation ohne CRM dar - zusätzlich werden höchstwahrscheinlich noch eine Reihe von Folgeprozessen um das CRM herum neu eingeführt - daran müssen viele Personen und Abteilungen beteiligt werden. Dabei wird deutlich, dass sich der Aufwand eines Projektes lohnt - ähnlich wie bei der Antwort zum Produktentwicklungsprozess haben wir es mit vielen Abteilungen zu tun und mit einer Reihe von optimierten und sogar neuen Prozessen.

Fassen wir nun managementtauglich zusammen, in welchen erweiterten Dimensionen wir eine Prozessoptimierung von einem Projekt abgrenzen können:


Wie grenzen Sie ein Projekt von einem Prozess ab? Haben Sie weitere oder eindeutigere Abgrenzungskriterien? Schreiben Sie Ihren Kommentar. 

2 Kommentare:

  1. Hallo Marcel,

    vielleicht kann die Anzahl und Ausprägung der Stakeholder ein Kriterium für die Abgrenzung sein.

    Je mehr "ausgeprägte" Stakeholder beteiligt sind, umso mehr kann eine Projektstruktur in der Transparenz und Kommunikation unterstützen.

    Beste Grüße
    Maike

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    1. Hallo Maike,
      das ist ein toller Hinweis, vielen Dank! Ich habe die Anzahl der Stakeholder in der Tabelle ergänzt.

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